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Ein kleiner Blumenstrauß an Skurrilitäten kommt vom britischen Indie-Entwickler D’Avekki Studios: The Infectious Madness of Doctor Dekker ist eine Adventure-artige Mischung aus Therapiesitzung und Mordaufklärung. Dabei setzt das Spiel auf Full Motion Movie (FMV), gepaart mit Tastatureingaben und jeder Menge Wahnsinn.
Auf dem Stuhl vor der Couch
Während der frühen 90er Jahre versuchten diverse Entwicklerstudios, PC- und Konsolenspielen ein wenig mehr Realismus einzuhauchen. Die Protagonisten, Antagonisten und Statisten der Zukunft sollten echte Menschen sein, Schauspieler – die wahlweise durch reale Szenerien oder über handgepixelte Hintergrundgrafiken hoppeln. Es war ein zum Scheitern verurteilter Revolutionsversuch irgendwo zwischen Imposanz und unfreiwilliger Komik; den Verstand verbiegende Gameplay-Verbrechen mit dem unverwechselbaren Charme asiatischer Trashfilme.
Und in diese Ära möchten uns D’Avekki Studios nun zurückversetzen, allerdings minus dem Trash. Überhaupt geht es in The Infectious Madness of Doctor Dekker reichlich ernst zu, da es uns die zweifelhafte Rolle eines Psychiaters zukommen lässt. Eines Psychiaters, der tagtäglich die „Crème de la Crème“ der psychisch Havarierten auf seinem Sofa begrüßt – und der den Mord an seinem Vorgänger, dem renommierten Doktor Dekker, aufklären soll. Fest steht: Der Killer befindet sich unter unseren Patienten. Aber wer genau hat ihn über die Klinge springen lassen? Die Antwort auf diese Frage kennt allein der zu Spielbeginn befragte Zufallsgenerator.

„Wenn ihr Fragen tippen könnt, …
… erhaltet ihr eine Antwort“ – unter anderem mit diesem Satz bewerben die Entwickler ihr Werk. Eine sicher nicht ganz unwitzige Anspielung darauf, dass die Zeiten textbasierter Adventures nun schon 30 und mehr Jahre zurückliegen, aber tippen können wir alle vermutlich trotzdem noch (und sei es nur wegen des WoW-Chats). Um eventuellen Angstattacken eurerseits dennoch vorzubeugen: The Infectious Madness of Doctor Dekker arbeitet im Wesentlichen mit Keywords; das heißt, wir müssen nicht zwingend ganze Sätze eingeben. Nur in den seltensten Fällen verlangt es nach einem Hardcore-Konstrukt aus Subjekt, Prädikat und Objekt.
Wer sich bis eben also Freestyle-Konversationen und unglaubliche K.I.-Leistungen erhoffte, darf diese seine Hoffnung nun ähnlich einem Porzellanteller auf dem Boden zerschellen sehen. Denn unsere Patienten sind definitiv keine Chatbots, so sehr wir es uns auch wünschen. Aber: Beliebiges Graben in den Köpfen unserer Gesprächspartner kann durchaus hier und da zum Erfolg führen. Wir müssen keinesfalls beim Mordthema bleiben oder bereits eingeschlagene Gesprächsrichtungen verfolgen – ferner können wir nach Belieben zwischen den jeweils verfügbaren Patienten wechseln, wodurch das Spiel weitgehend non-linear verläuft.

„Dekker hat mich verflucht!“
Die in mehrere, sehr lange Kapitel unterteilten Sessions offenbaren nach und nach, dass der werte Kollege Dekker nicht unbedingt das war, was wir einen Mustertherapeuten nennen würden. Manche unserer FMV-Patienten erzählen, er sei „in ihre Köpfe eingedrungen“ und habe ausschließlich aus Eigennutz gehandelt. Psychische Manipulation? Ein übler Gedanke, doch die von unserer Sprechstundenhilfe ausgebuddelten Indizien fördern noch weitaus Übleres zutage. So weist unter anderem ein Videoband darauf hin, dass sich der Doc nicht nur mit der menschlichen Psyche, sondern auch mit Chaosforschung und düsterer Mythologie befasste.
Und so verfinstert sich allmählich das Gesicht des anfangs gar nicht mal so düster wirkenden Adventures, auch wegen der immer ersichtlicher werdenden Hintergründe unserer Patienten. Ihre vielleicht selbst fachlich abgesegneten Geschichten sind derart eindringlich, dass wir uns nicht selten unbehaglich oder sogar massiv bedroht fühlen. Eine Tatsache, die sowohl der guten Leistung der Schauspieler als auch den kreativen Köpfen hinter der Kamera und dem Schnittprogramm zu verdanken ist. Sie alle erschufen ein „kleines“ Spieluniversum, das definitiv einen bleibenden Eindruck hinterlässt.

Fazit: Gute Story, mieser Parser
The Infectious Madness of Doctor Dekker bietet zwar nichts, was in der Geschichte der Computerspiele nicht irgendwo schon einmal vermerkt worden wäre. Dafür ist es eine qualitativ hochwertige Aufbereitung uralter Spielkonzepte, garniert mit einer gefälligen Story über psychische Störungen und menschliche Abgründe. Auch atmosphärisch schlägt sich das moderne FMV-Spiel äußerst wacker, leidet aber etwas unter dem geringen Umfang seines Soundtracks. Nicht wenige dürften die grundsätzlich gelungene Hintergrundmusik nach einigen Stunden entnervt stummschalten.
Die größte Schwäche des Spiels aber ist der Parser; sprich, die Analyse und Auswertung unserer Texteingaben. Als Negativbeispiel sei hier das Wort „Goodbye“ angeführt: geben wir stattdessen etwa „Good bye“ ein, wird die Eingabe schlicht nicht erkannt. So etwas darf bei einem Spiel aus dem Jahre 2017 einfach nicht sein, denn selbst über 30 Jahre alte Textadventures waren zum Teil schon in der Lage, Eingaben mit Tipp- und/oder Grammatikfehlern korrekt zu interpretieren. Glücklicherweise bessern die Entwickler hier aber noch fleißig nach, sodass wir eine klare Empfehlung aussprechen wollen. Eine so große Menge an Content haben wir für 8,99 Euro (Steam) schon lange nicht mehr bekommen.