Die groteske Liebe Osteuropas zu radioaktiver Strahlung trägt wieder einmal Früchte: In Chernobylite suchst du in der Rolle eines Stalkers nach deiner verschwundenen Frau – und gerätst dabei in eine mysteriöse Verschwörung. Mein Resümee zur Kickstarter-Demo.
Neulich haben sich die knackigen Jungs und Mädels von The Farm 51 nach Prypjat begeben. Prypjat ist – Atomkatastrophenfans wissen es natürlich – eine ukrainische Stadt, die durch die Reaktorexplosion von Tschernobyl zur Geisterstadt wurde. Sich dort aufzuhalten, ist verboten. Denn infolge des Unglücks ist der Laden derart kräftig verstrahlt worden, dass er noch bis zum 26. April des Jahres 101986 unbewohnbar sein wird. Meint zumindest Tantchen Google.
Das klingt ungesund, und das ist es auch. Doch für Chernobylite war dem 22 Mann starken Entwicklerteam keine Stadt zu verstrahlt. Und so scannten sie einen großen Teil der Umgebung, drehten Filmchen, und, na ja – schnupperten halt frische Prypjater Luft. Das alles sollte dem übernatürlichen Survival-Shooter zugute kommen, was es irgendwo auch tut. Nur warum, in drei Teufels Namen, quetschten die Väter des Kultshooters Painkiller ihren Aufwand letztlich in (etwas breiter angelegte) Levelschläuche?
Womit die Katze aus dem Sack wäre: Chernobylite verfügt zwar über ein originalgetreu nachgebildetes (Klein-)Prypjat, erklärt den größten Teil der Map ironischerweise aber zum Sperrgebiet. Was auch deswegen für den Eimer ist, weil schon viele andere osteuropäische Schmieden versucht haben, Prypjat als Weltkulturerbe zu etablieren. Chernobylite wird also einen beträchtlichen Mehrwert liefern müssen, den ich der Kickstarter-Demo leider nur bedingt attestieren kann.
Eine Story wie aus den 30er Jahren? Im Vorgängerwerk Get Even tischte uns The Farm 51 eine Story auf dem Niveau alter Tarzan-Filme auf: „Ich Cole, du als Geisel gehaltene Frau. Ich dich retten. Ugh.“ Das war aber nicht weiter schlimm. Schlimm ist, dass sich die Polen von dieser Formel nicht verabschiedet haben. Jetzt heißt es: „Ich Physiker und Ex-Angestellter bei kaputtem Kernkraftwerk, du meine verschollene Frau“ – und fast schon wollte ich mich deswegen an einer Liane erhängen.
Was mich letztlich davon abhielt, war, dass mein Alter Ego sozusagen für bekloppt erklärt wurde. Denn außer ihm selbst scheint niemand an die Existenz seiner Frau zu glauben. Vielleicht hatte er sich als Kind ja etwas zu oft in Plutoniumfässern versteckt? Jedenfalls stimmte mich dieser Umstand weitgehend versöhnlich; wie auch die Tatsache, dass die Zonenschnitzeljagd gar nicht den Mittelpunkt des Spiels darstellt. Zwar bist du in Chernobylite stets auf der Suche nach Hinweisen über den Verbleib deines – womöglich – Phantoms. Das machst du aber ausschließlich im Rahmen von Missionen, die sich aus der eigentlichen Hauptgeschichte um eine Militärverschwörung ergeben.
Wie ist das Gameplay? Nach einer kurzen Tutorialphase, in der du alle grundlegenden Mechaniken erlernst (wie zum Beispiel einfaches Crafting am Lagerfeuer oder die Nutzung von Inventargegenständen), „annektierst“ du im Sperrgebiet ein mehretagiges Schrotthaus. Dieses kannst du zwischen den Missionen – die jeweils benötigten Ressourcen vorausgesetzt – nach und nach mit Möbeln ausstatten. Hauptsächlich dient dir das eher kleinflächige Gebäude jedoch als Zentrale, von wo aus du Einsätze für dich und deine Mitstalker planst.
Du bist also nicht allein: Während dir anfangs nur der leicht grummelige Olivier zur Seite steht, verfügst du später über eine ganze „Gefolgschaft“. Sie steht dir nicht nur mit Rat und Tat zur Seite, sondern zieht auf Befehl auch aus, um Essbares und Ressourcen an Land zu ziehen. Jedenfalls solange, wie du dich im Dialog als cooler Kumpel erweist (deine Antworten nehmen Einfluss auf die Stimmung deiner Kollegen) – und alle Mäuler ausreichend stopfst. Ansonsten werden deine Mitstreiter kurzerhand ausziehen und dich mit deinen Problemen alleinlassen: F%$& you!
Und das willst du angesichts der strategischen Spielelemente nicht wirklich. So sind die Story-Missionen mit einem moderaten Zeitlimit versehen und nur begrenzt oft wiederholbar; ferner droht dir und deinen Kumpanen, wie weiter oben schon angerissen, allzeit der Hungertod. Während Missionen solltest du daher stets ein Auge auf herumliegende Ressourcen haben, denn der Missionserfolgsbonus – in Form von Nahrungsrationen – ist schnell verspielt. Um genau zu sein, muss lediglich dein Lebensbalken auf Null schrumpfen. Dann geht es sofort ab nach Hause und der Wiederholungscounter zählt minus eins.
Als hätte The Farm 51 sein Get Even nach Tschernobyl verlegt, stehen die Missionen übrigens im Zeichen von Sam Fisher. Ziehst du beispielsweise los, um einen Laptop einer konkurrierenden Partei zu hacken, geschieht das fast automatisch auf leisen Sohlen. Du kannst zwar aus dem Hinterhalt feuern und versuchen, einen Gegner nach dem anderen zu eliminieren. Deren Penetranz und beachtliche Feuerkraft sprechen aber klar dafür, vorwiegend mit der Umgebung, der eigenen Sichtbarkeitsanzeige und viel Hirn zu arbeiten.
Gesucht wird noch der Horror: Ursprünglich hatte ich mir von Chernobylite eine Art Prypjat-Geisterbahn erhofft. Doch in dieser Hinsicht hat die Kickstarter-Demo kaum etwas anzubieten, schon gar nicht den gewohnheitsmäßigen Horrorkonsumenten.
Recht unbeholfen und dämlich zappelt hier und da ein Stalker-Geist herum; die obligatorische Gruselpuppe hustet: „Hallo, ich bin auch noch da!“; eine Frau am Fenster betrachtet die halbdunkle Szene – ohne in die Tiefe zu springen (Pfui). Eine bedrückende Atmosphäre kann dem Soft-Horrorshooter trotzdem bescheinigt werden. Denn der Anblick Prypjats ist naturgemäß gespenstisch, und The Farm 51 hat ein sehr authentisches Modell geschaffen.
Stolpern durch das Sperrgebiet: Da sich Chernobylite noch in einem frühen Stadium befindet, ist das Spielgefühl ätzend roh und holprig. Dazu trägt zum einen die unausgefeilte Steuerung bei, die dich so manches Mal auf alles schießen lässt – nur nicht auf den (unter der Gasmaske sicherlich schallend lachenden) Gegner.
Zum anderen lässt die Optimierung des grafikkartenhungrigen Spiels sehr zu wünschen übrig. So wirst du unterhalb einer GeForce 1060Ti die maximalen Details nur als Daumenkino betrachten können. Empfohlen ist derzeit eine GTX 970, was bis zum Release-Termin im Herbst machbar erscheint. Hier ist Get Even guten Beispiels vorangegangen.
Fazit: Für Fans einen Blick wert
Mich persönlich hat die Kickstarter-Demo zu Chernobylite kaltgelassen. Die Mischung aus Stealth-Shooter, Babyhorror und uninspirierten Hackerminispielen lieferte mir einfach zu wenig frische Impulse. Außerdem hätte ich das atomar verseuchte Prypjat gerne frei erkundet; stattdessen bekam ich bloß ein paar Leveltunnel mit „hübscher“ Aussicht.
Dennoch: Der lineare Trip durch die glaubwürdige Zone hat mehr zu bieten als die direkte Konkurrenz. Gerade die strategische Komponente sowie die milden Survivalelemente (Zeitlimits, NPCs mit Bedürfnissen, Organisation von Versorgungsmissionen) können durchaus motivieren. Darüber hinaus sorgt der etwas mehr als rudimentäre Basenbau für zusätzliche Beschäftigung.