Stell’ dir vor, du bist tot, und keinen interessierts: In den 80er Jahren wollten die meisten Gamer mehr sein als nur ein kurzes Kassenklingeln in den großen Weiten der Unbedeutsamkeit. Ihre Inspirationsquelle und Götter waren Cracker – Kopierschutzknacker wie Dynamic Duo oder Eagle Soft Incorporated, die sich mittels aufwendiger „Cracktros“ (vor Spiele gelinkte Vorspanne) szeneweit unsterblich machten.
Doch das war gestern. Heute gibt es nur noch einen Gott, und damit ist nicht etwa dieser trizophrene aus Berlin gemeint. Die Rede ist vielmehr vom allmächtigen DRM-Gott aus Seattle: Gabe Newell hat mit Steam zahllose Gamerherzen im Sale erobert. Wann immer uns seine Fangarme diese kleinen grünen Preisnachlass-Schildchen auf die Nase heften, ist alles toll. Oder?
Was ist eigentlich passiert? Warum sind die Götter von einst mittlerweile Geächtete? Und auf welche Weise nutzen Publisher (und Gaben-Götter) die Macht, die wir ihnen gegeben haben?
Piraten: Vergöttert, verdammt, gehasst
Um das zu verstehen, müssen wir noch einmal drei Dekaden in der Zeit zurückgehen. Damals arbeitete Gaben noch bei Microsoft und niemand weiß, wie die Welt in diesem Zustand überhaupt existieren konnte. Besonders schlimm wurde es, wenn wieder mal das Fest der Liebe (das es ohne Steam natürlich nur einmal im Jahr gab) vor der Tür stand. „Wie nur?“, fragten bedrückte Eltern dann: „Wie nur können wir unseren Kindern in diesen finsteren Zeiten ein wenig Licht spenden?“
Ganz einfach: Mit einem Commodore 64 samt hunderter Raubkopien. Wenn es nämlich etwas gab, wovon der Deutsche vielleicht wirklich „nichts gewusst“ haben könnte, dann von der Softwareindustrie. Die Spiele wurden halt von irgendwelchen Leuten aus Spaß programmiert, dachte man zunächst. Wie z.B. von Dynamic Duo oder auch Electronic Arts; eventuell ja sogar von beiden.
Was aus heutiger Sicht unglaublich erscheint, ist eine unumstößliche Tatsache. Nur wer sich tief in den Schulhof-Tauschszenen der Republik bewegte, wusste, was es mit diesen Cracks auf sich hatte. Und, warum ein Cracker überhaupt knackte.
Dieser wollte in der Regel zeigen, dass er den jeweiligen Computer besser beherrscht, als die Profis der Softwarehäuser. Weniger (oder auch gar nicht) ging es ihm darum, „kleine User“ kostenlos mit Spielen zu versorgen. Dies war lediglich ein unerwünschter Nebeneffekt auf dem Weg zur – für ihn primär interessanten – Anerkennung in Crackerkreisen. Denn die Bewunderung eines reinen Gamers (damals „Lamer“ oder auch „Nichtskönner“) bedeutete ihm so gut wie gar nichts.
Vom „freien“ User zum Konsumsklaven
Das klingt mächtig arrogant? Nun: Ein Blick in die Steam-Foren offenbart, dass in Gamerstübchen nach wie vor ein ziemlich rauer Wind weht. Es geht lediglich nicht mehr darum, dass jemand „nichts“ könne (zumal die Mitglieder des jeweiligen Haudruff-Kollektivs in der Regel „nichts“ können). Stattdessen wird sehr publisherfreundlich um sich geschlagen: „Du besitzt das Spiel nicht mal!“, „Du dreckiger Pirat!“, „Ich melde dich!“. Übersetzung nach Applizierung eines Schnappatmungsfilters: „Was ich teuer bezahlt habe, darfst du nicht umsonst haben“.
Okay, diese Ansicht ist irgendwo nachvollziehbar, denn Missgunst ist nur allzu menschlich. Warum aber lassen selbsterkorene Publisher-Champions wirklich kein einziges Argument gelten? Wieso halten sich die einen Champs die Ohren, die anderen die Augen und die ganz anderen den Mund zu, um dann gemeinsam „Guantanamo! Ab nach Guantanamo!“ zu krakeelen (diese „ganz anderen“ sind übrigens talentierte Bauchredner)?
Fakt ist, dass eines der ältesten Raubkopierer-Argumente – „Kein Geld“ – immer schwieriger auszuhebeln ist, weil Computerspiele nicht nur Kulturgut sind, sondern auch Kunst. Letzteres wissen wir schon lange, doch selbst die USK formulierte:
(…) Technisch Machbares und ästhetischer Ausdruck können sich in einer Art und Weise verbinden, dass Spiele Merkmale einer Kunstform in der zeitgenössischen Unterhaltung erhalten. Durch die Chance der Interaktivität können sich Entwickler wie Spieler durch das Medium ausdrücken, sich kritisch mit Gesellschaft und ihren Prozessen auseinandersetzen und dabei Wirklichkeit, Entwicklung und Veränderung reflektieren.
Laut UN-Kinderrechtskonvention, die Jugendliche bis zu einem Alter von 18 Jahren mit einschließt, haben alle nicht erwachsenen Menschen ein Recht auf Kunst. Und somit – das ist die Meinung und Zukunftsprognose des Autors – ein Recht auf Computerspiele. Im Übrigen gibt es keinen vernünftigen Grund, warum etwas, das für Kinder gilt, nicht auch für Erwachsene gelten sollte.
Wer angesichts dieser Ausführungen nun rot leuchtend unter der Decke klebt, lässt ein paar wichtige Dinge außer Acht. Es ist nämlich immer noch der ehrliche Kunde, der ein Spiel mit einem guten Gefühl installiert. Mit dem Gefühl, sich genau dieses Spiel (vielleicht hart) erarbeitet und entsprechend verdient zu haben. Es ist auch der ehrliche Kunde, der Kunstschaffende finanziell unterstützt und nachhaltig motiviert.
All dies wird dem Raubkopierer nicht zuteil, was für uns „legalen Gamer“ Genugtuung genug sein sollte. Anderenfalls stellten wir uns mit Publishern auf eine Stufe, die den Hals ebenfalls nicht voll genug bekommen können.
Sie machen sich die Welt…
Was soll das heißen, „den Hals nicht voll genug bekommen“? Für viele Publisher war DRM, wie viele ja wissen, nur der Anfang. Erinnert ihr euch noch an diesbezügliche Diskussionen im Netz? Steam & Co galten (und gelten) nicht immer als toll – ganz im Gegenteil. Insbesondere ältere Gamer fühlen sich entrechtet bzw. gegängelt, da sie ihren Freunden keine neuen Spiele mehr leihen können. Ein berechtigter Einwand, denn die meisten von uns dürften in jüngerer Zeit mal ein urheberrechtlich geschütztes Buch geliehen bekommen haben.
Darüber hinaus ist es Zockern kaum mehr möglich, neugierigen Kumpels ein frisch gekauftes Spiel vor Ort vorzuführen. Insbesondere dann nicht, wenn es bereits auf dem eigenen PC installiert ist. „Es gibt doch YouTube!“, wird mancher nun sagen, doch Videos sind eindeutig kein adäquater Ersatz für eine Demo. Ob ein Spiel nämlich gefällt oder nicht, weiß man erst, wenn man den jeweiligen Helden eine Zeit lang selbst gesteuert hat.
Und genau hier kommt wieder Ihre Hoheit King Gaben ins Spiel, der Gamern aus Rücksicht aufs eigene Portemonnaie minimale Freiheiten gewährt. „Demos für Hartnäckige“ könnte man die Scheinwohltat Steam Family Share nennen, denn nichts anderes steckt dahinter. Von wegen die Spiele des (Steam-)Freundes spielen, der in den meisten Fällen zu den gleichen Zeiten spielen möchte, wie der zunächst noch jubelnde Schmarotzer. Unter diesen Umständen läuft nämlich, ganz genau: Gar nichts.
„Mach’, dass sie sich bevorteilt fühlen und nicht geknechtet“. So oder so ähnlich könnte der König einst gesprochen haben, als er sich einen Weg überlegte, wie man DRM attraktiver machen könnte. Und zwar so attraktiv, dass jüngere Gamer die „DRM-Fesseln“ nicht nur nicht bemerken, sondern loben.
Eigens dafür hat Mr. Newell seine Fans mit dem Steam-Argument schlechthin ausgestattet: Sofern man ein Spiel nicht länger als zwei Stunden gespielt hat, kann man es einfach zurückgeben. Großartig, genial, so was macht nur Steam. Ja, das stimmt – aber wie kommt es eigentlich, dass die Spielzeit nichtssagender Tutorial-Phasen moderner Spiele eine Stunde oder länger (Tendenz steigend) beträgt?
Denuvo – in your face, gamers!
Dass Steam & Co im Zuge der Gewinnmaximierung dackelartig auf unseren Rechnern herumschnüffeln, ist spätestens seit dem EA-Origin-Eklat bekannt. Wie schon beim „Werbung auf Counter-Strike-Levelwänden“-Versuch handelte man hier in der generationsübergreifenden Planung zu früh.
Entsprechend probieren Publisher wie Ubisoft beim Gamer nun etwas dezentere, aber nicht minder schmerzhafte Melktechniken. Als Trittbrettfahrer (oder vielleicht gar Mit-Initiator) des gegenwärtigen Cracker-versus-Cracker-Gerangels weiß die französische Firma, den Kopierschutz Denuvo für sich zu nutzen und zu missbrauchen. Denn Ubisoft geht es um weit mehr als nur um Softwareschutz.
Liest man beispielsweise die EULA zu Watch Dogs 2, die Spyware auch über die Deinstallation des Produkts hinaus zusichert, möchte man Crackern beinahe dankbar sein. Ist es das, was die Softwarefirmen erreichen wollen? Dass wir Cracker als byteverbiegende Robin Hoods betrachten, die uns unsere Rechte und Privatsphäre von den Publishern zurückholen?
Einen Bogen kann man überspannen – und wir hören die Sehne des Bogens gefährlich knarren. Wer Presserezensionen ihren Einfluss nehmen will (Bethesda) und stattdessen auf Hipp-Hipp-Hurra-Marketing für Vorbesteller setzt, wird langfristig Zorn auf sich ziehen. Und Spielerzorn wird sich nicht immer auf Entwicklerstudios abwälzen lassen.