Die junge Abel hat ein Problem: Weil ihr „Drittes Auge“ geöffnet ist, kann sie Geister sehen und physisch erfahren. Das bringt sie oft in lebensbedrohliche Situationen, so dass ihre ältere Schwester, Alia, beschließt, ihr Drittes Auge ebenfalls öffnen zu lassen. Gemeinsam scheinen sie jeder Gefahr zu trotzen, doch jetzt – in Das Dritte Auge 2 – wendet sich das Blatt.
Okay, okay, es ist ja verständlich. Wenn ein Horrorfilm sein Potential ausgeschöpft hat, dann muss der Nachfolger frischen Wind durch die Hütte wehen. Und wenn ein Protagonistenpaar so unzertrennlich ist wie Abel und Alia, dann ist das für herzlose Regisseure wie Rocky Soraya ein gefundenes Fressen. In diesem Sinne – welche der beiden Schwestern, denkst du, wird zu Beginn des Films ins Gras beißen müssen? Natürlich: Es trifft die arme Abel, die wir im Vorgänger fest ins Herz geschlossen hatten.

Die entsprechende Szene im Haus von Alia und Abel suggeriert, dass letztere bei einer Geist-Attacke ums Leben kommt. Hier stürzt sich allem Anschein nach eine „alte Bekannte“ auf das am Boden sitzende Opfer. Für ihre „Bel“ kann Alia leider nichts mehr zu tun, außer den vermeintlich bösen Geist aus dem Zimmer zu schreien. Der von mir daraufhin erwartete, 30-minütige Heulkrampf blieb zu meiner Überraschung aus.
An diesem Punkt sah sich Soraya vermutlich einer Standard-Settingliste für Horrorfilme gegenüber. Denn infolge ihrer Trauer bricht Alia ihre Zelte ab und akzeptiert einen Job als Waisenbetreuerin. Doch das Waisenhaus-Setting von Das Dritte Auge 2 stellt keineswegs Sorayas Kapitalverbrechen dar. Seine größte Untat ist die, Schwester Bel sterben zu lassen, nur um sie kurz darauf durch ein Mädchen namens Nadia zu ersetzen. Und zwar vollumfänglich, zumal auch Nadia über ein geöffnetes Drittes Auge verfügt.

Die Formel des Nachfolgers ist somit genau die des Vorgängers; und schlimmer noch, seine Geschichte lässt das Frauenduo an dessen Schlüsselschauplätze zurückkehren. Trotz alledem hat der gut zweistündige Geisterstreifen aus Indonesien auch seine Stärken. Ob der deutlich erhöhte Action-Faktor dazuzählt, wird von der jeweiligen Vorliebe für Popcorn oder Studentenfutter entschieden. Wenn aber die Flüsterstimme der zunächst eingesperrten Antagonistin die Wände des Waisenhauses durchzieht, dürften sich nur die allerwenigsten untergruselt fühlten.

Zum einen liegen die Stärken von Das Dritte Auge 2 klar im Horrorhandwerk. Zum anderen habe ich mit offenen Frequenzen verfolgt, wie sich – nach und nach – der extrem morbide Background des Hauses offenbarte. In bester Manier von Tanz der Teufel führt dieser am Ende sogar zu einer Gore-Einlage, garniert von einem On-demand-Trupp aus dem Boden schießender Höllensoldaten. Hm!
Erschüttern können solche Szenen uns Asia-Horrorfans natürlich nicht (mehr). Ebenso wenig überrascht es uns, dass dieses Netflix-Original nicht in deutscher Sprache, immerhin jedoch mit deutschen Untertiteln verfügbar ist. Denn wir wissen: In Dingen asiatische Horrorfilme kann Netflix eine wahre Fundgrube sein – und dort zählt Das Dritte Auge 2 klar zu den besseren Vertretern. Wer also 116 Minuten seiner Zeit erübrigen kann und nicht erwartet, von irren Innovationen durch den Sessel gedrückt zu werden, der kann hier ganz entspannt auf „Play“ klicken.
